Werkstattgespräch

Der neue Gang nach Bethlehem

2017, Gouache auf Leinwand

Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Bildes Der neue Gang nach Bethlehem, direkt nach Beendigung der Arbeit, während der nicht gesprochen wurde.

Uta: Bei dieser Arbeit haben wir uns gestattet, uns gar nichts mehr vorzunehmen. Ich selbst bin mit Schwarz und Rotbraun gestartet. Und du bist dann mit Wasser darüber, oder?

Wimmer: Ja, Wasser - damit alles ins Fließen und ins Tropfen kommt. Für mich war es eine ganze Zeit lang ein Weg in die Abstraktion. Ich habe nach nichts Figürlichem Ausschau gehalten.

Uta: Mir tat das helle Türkis und das dunkle Petrol gut. Letzteres hat auf dem Untergrund eine unglaubliche Leuchtkraft entwickelt; dazu der Goldrand, der ganz kostbar wirkte. Das habe ich mit viel Freude dazugesetzt.

Wimmer: Ich entdeckte links ein schwarzes Gesicht und dachte mir: ‚Das ist ein König; sein prachtvolles Gewand - nur angedeutet.’ Auf der anderen Seite war auch „irgendetwas“ - noch eine Andeutung von einem Gewand! Aber es gab kein Gesicht, bis ich es doch entdeckte.

Uta: In dem Moment, wo du dort das Gesicht herausgearbeitet hast, war eine Richtung vorgegeben. Eben gerade sagtest du: König. Mir kam einer der drei Könige in den Sinn, der Melchior- zumindest jemand, der eine große Kostbarkeit mitbringt. Auf der Leinwand - neben der Figur - hattest du drei Striche geritzt. Die haben meine Aufmerksamkeit erregt: Ich hatte das Gefühl, sie ähnelten der Brücke auf japanischen Holzschnitten, wo Hokosai immer über die Brücke marschiert. Ich sah einen Abgrund, darüber eine Hängebrücke - aufgehängt an Seilen. Gleichzeitig sahen die Seile aus wie eine Öffnung zu einer Höhle. Auf der „anderen Seite“ in der Öffnung war auch Türkis, als wenn dort ein Smaragd oder Edelstein wäre.

Ich war die ganze Zeit damit befasst, ob der „schwarze“ Mann über die Brücke gehen darf, ob er eine Brücke schlägt, die Brücke betritt. Geht er über die Brücke zu dem Smaragd oder kommt er von dem Smaragd, hat er dort Bodenschätze geborgen? Schaut er zurück und hat die Schätze bereits in seinem Gepäck?

In diesem Moment hast du rechts in den dunklen Bereich dieses Gesicht gemalt, dieses Gesicht hat mich erschüttert: Denn ich sah darin eine Frau, die mit ihrer ganzen Ablehnung schaut. Sie schaut, als würde sie sich fragen: „Wer kommt denn da? Was ist denn das für ein Ungetüm?“ Deshalb musste ich die Hand und den Arm dazusetzen. Und eigentlich war der Arm andeutungsweise in der Brücke auch schon da! Die abwehrende Hand signalisiert ein ganz deutliches „Stopp! Du kommst hier nicht über die Brücke! Bleib mal schön auf der anderen Seite! Du kommst mir nicht zu nahe!“

Wie ist es dir denn gegangen, als du das Gesicht gemalt hast?

Wimmer: Ich hatte eine Andeutung von einem Gesicht entdeckt und es mit Strichen verstärkt; es waren z.B. die Nase, ein Auge und die Haare fast vorhanden. Und eigentlich war nur eine Hälfte des Gesichtes da, die andere habe ich dazu gesetzt.

Uta: Aber, wie die guckt! Wie ging es dir damit?

Wimmer: Das war nicht geplant, das hat sich ergeben.

Uta: Aber wie ging es dir damit?!

Wimmer: Ich bemerkte gleich, dass es ein Konflikt zwischen Mann und Frau wird. Was ich jetzt sehe ist die Pracht: Der Schwarze kommt nicht in Armut, er kommt in Reichtum. Die Ansicht „Schwarz gleich arm und Weiß gleich reich“ hat sich völlig umgekehrt. Mein Gefühl ist, es geht hier nicht um Geld, es geht um die Angst vor dem „Fremden“, um das „Anderssein“.

Uta: Der Gesichtsausdruck der Frau traf mich richtig tief im Herzen. Er schafft eine überdimensionale Ablehnung und Distanz. Wenn ich jetzt auf das Bild schaue, sehe ich links das Ursprüngliche, das Animalische, das Naturbelassene, das Kräftige. Die Frau kommt mir vor wie eine englische Lady, die mit ihrer Hochfrisur und mit ihrer kleinen weißen Hand noch nie gearbeitet hat.

Es kommt mir vor wie Europa gegen Afrika, wie das Klischee „zivilisierte Welt und nichtzivilisierte Welt“.

Ich finde, das Kleid der Frau passt nicht zu ihr, denn es ist das Kleid eines Mädchens. Ihre weiße Hand ist im Vergleich zum Kopf viel zu klein - wie auf einer Kinderzeichnung. Und dann sind da noch die helltürkisen Beinchen, die machen sie zu einer Marionette. Sie hängt an Fäden, eigentlich eine Witzfigur. Sie hat der Situation nichts entgegenzusetzen, bis auf ihre heftigste Ablehnung.

Das Bild geht mir total unter die Haut. Im Gegensatz dazu hat der Mann so ein undurchdringliches Schwarz. Das ist kein Schokoladenbraun, er hat nichts Sympathisches. Er wirkt wirklich wie der »Schwarze Mann« aus dem Kinderlied: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Nur sein Gewand ist schön, aber das Gesicht wirkt erst einmal wirklich bedrohlich.

Wimmer: Ich finde, der Gesichtsausdruck könnte auch Entsetzen ausdrücken.

Uta: Traurig finde ich ihn; diese zusammenstehenden Augen, haben irgendetwas Trauriges oder Fassungsloses.

Er denkt vielleicht: ‚Ich weiß gar nicht, was die hat?

Ich bin doch nur ich!

Wieso reagiert sie denn so auf mich?’

Er schaut, als wenn er das erste Mal realisiert, dass er Pechschwarz ist.

20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh