Werkstattgespräch

Doppelgesichtig

2017, Gouache auf Leinwand

Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Bildes Doppelgesichtig, direkt nach Beendigung der Arbeit, während der nicht gesprochen wurde.

Uta: Ehrlich gesagt: Ich hatte überhaupt keinen Bock auf dieses Wesen! Da habe ich mich im Malprozess schwer in Annahme üben müssen. Zu Beginn fand ich es zunächst total spannend, die Farbe Silber und deine Pinselstriche damit, meine Körperbewegungen dazu und das Malen mit den Händen - sehr überraschend. Danach folgten die roten Linien, das Vertreiben mit der Farbrolle empfand ich auch irgendwie als neu; es wurde dadurch eine Fläche eröffnet. Bei dem Auftrag vom Blau habe ich mich von meinen Körperbewegungen leiten lassen; es fühlte sich an wie eine Wiege, ein Gewiegtsein zwischen den beiden Farbblöcken oder wie das Aufhängen einer Hängematte zwischen zwei Punkten. In diesen Bereich sah ich auch eine Art Mund. Als du hingingst und dann tatsächlich „Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht“ daraus machtest, dachte ich: ‚Ach nee! Da habe ich jetzt gar keinen Bock drauf - überhaupt keine Lust! Was hat das Wesen da für eine komische Nase!? Und dann noch diese Ohren!’

Ich nahm dann einen Kamm und zog die Farbe mit pieksigen Bewegungen nach unten. Da zeigte sich meine ganze Widerborstigkeit: Ich fand das total klasse, es wirkte wie ein Stachelhalsband, welches die Katze jetzt bekam - so richtig pieksig, widerborstig und abstoßend, gar nicht Schmusekatze. Dann hatte ich das Bedürfnis Gelb hineinzusetzen, ebenso die Augen, das eine Auge so - und das andere Auge so! Und auch unten das Stachelhalsband zu verändern und ein Stück Körper anzusetzen. Danach hatte ich den Impuls: Ich mache nichts mehr.

Ich fand es sehr interessant nur zu schauen: „Was bist du für ein indifferentes Wesen? Du zeigst dich nicht!“

Mir fiel auf, dass alles um den Hals herum blau war, alles blau - und ihr inneres Wesen sich nicht zeigt. Ich konnte nicht erkennen, ob sie lacht oder in welcher Verfassung sie ist: ‚Bekommt man von ihr eine übergewischt oder ist sie zum Schmusen aufgelegt?’

Ihr linkes Auge hat einen leeren Blick, ihr rechtes Auge ist wach und guckt. „Was führst denn du im Schilde? Was bist du für eine Katze?“

Ich konnte sie nicht greifen und das fand ich eigentlich ganz klasse. Durch dein Weiterarbeiten war für mich das blaue Maul plötzlich weg und wurde zu einer Begrenzung des Kopfes.

Ich dachte: ‚Male ich jetzt ein neues Maul? Denn, wenn der Kopf dort endet, wo auch die graue und gelbe Fläche aufhören, dann müsste ich das Maul höher an die Nase setzen?’

„Du bist nicht durchschaubar! Ich kann dich nicht durchschauen, ich weiß nicht was in dir steckt!“

Du warst das Wagnis der Begrenzung eingegangen, und ich dachte: ‚Jetzt ist es eindeutig. Nein! Man kann es kippen! Es ist wie ein Kippbild für mich!’ Ich rede jetzt mal so hintereinander weg, denn bis eben war ich sehr im Widerstand.

Man hat zwei Möglichkeiten des Schauens: Wenn du den Kopf durch die blaue Linie begrenzt, dann weiß du nicht, wie die Katze gestimmt ist. Guckst du weiter runter und siehst die blaue Linie als Maul, dann lacht sie dich wie ein Mondgesicht freudig an. Eigentlich kann ich es mir aussuchen? Und ich weiß aber trotzdem nicht, wer sie ist.

Wimmer: Ja, weißt du denn nicht, wer sie ist?

Uta: Nein, wie sie gestimmt ist, weiß ich nicht!

Wimmer: Dann hätte unser Malprozess genau das erreicht und umgesetzt, was ich zwischendurch assoziiert habe. Aber du kennst die Figur scheinbar nicht? Sie stammt aus „Alice im Wunderland“ und ist die Katze, welche dort immer im Baum erscheint, lächelt und wieder verschwindet - und nur ihr Lächeln bleibt schwebend in der Luft zurück.

Diese Indifferenz der Katze sah ich auch und dachte, es könnte eine moderne Interpretation von Alice im Wunderland sein. Das, was du gesagt hast, beschreibt genau das! Sie ist wirklich nicht greifbar, sie lächelt und verschwindet wieder. Ich glaube, der Widerstand, den du entwickelt hast, hat diesem Bild erst de facto seine Tiefe gegeben. So weit wäre ich nicht gegangen, ich hätte es in dieser lockeren Art belassen.

In diesem Bild ist ein realer Widerstand eingefangen, ihre Undifferenziertheit hat sich in der Gestaltung herausgekämpft. Dadurch hat sie nochmals eine ganz andere Power bekommen. Sie ist in sich undifferenziert geblieben, ihre Konturen sind nicht richtig greifbar. Man weiß nicht, ob sie im nächsten Moment verschwindet und trotzdem ist sie sehr kraftvoll da.

Uta: Ja, sie ist da und sie ist nicht da! Wenn du ihr rechtes Auge ansiehst, wie es fast in den Hintergrund übergeht - das wirkt ja fast wie angeknabbert - und dieser Prozess beginnt beim linken auch schon!

Wimmer: Man könnte doch meinen, das Auge fängt schon an zu verschwinden! Und -ist es nicht verrückt, dass wir ein Auge aufgelassen und das andere zugemacht haben. Spannend ist auch, dass diese kindliche Zeichnung dich scheinbar so verunsichert hat. Denn diese Katze erscheint immer, wenn Alice in der Geschichte nicht mehr weiß, wo es lang geht.

Uta: Wenn ich es als Kippbild sehe und mich auf den „oberen Katzenkopf“ konzentriere, dann könnte ich so schauen, dass das Blaue zu ihrem Halsband wird. In der Version guckt sie mich fragend an!

Wimmer: Du erhältst eine andere Katze, wenn du das Blaue als Mund dazu nimmst. Wenn ich sie so ansehe, dann weiß ich, wer sie ist!

Uta: Der „obere Katzenkopf“ stellt uns vor die Frage: Wer bin ich?

Wimmer: Sie lacht dich aus!

Uta: Oder, sie lacht mich an!

Wimmer: Ich finde es faszinierend, dass die Indifferenz innerhalb der Katze existiert.

Uta: Es ist wie ein Versteckspiel innerhalb unseres Bildes. Während des Malprozesses hätte ich fast alles von mir geschmissen. Ich dachte: ‚Es ist genug für heute! Eine Katze, darauf habe ich ja überhaupt keinen Bock!’

Und Alice im Wunderland kenne ich nicht und die Katze dort kenne ich auch nicht.

Wimmer: Dann hast du sie jetzt kennengelernt! Ich fand sie so schön einfach, sie ist aus der Stimmung heraus gemalt. Ich wollte einfach etwas Fröhliches machen. Das, was du gemalt hattest, habe ich als Maul assoziiert. Das Maul war für mich zu sehen und die Katze dazu war scheinbar schon verschwunden. Wie in der Geschichte von Alice! Und dann dachte ich: ‚Ich mache die Katze in einfachen Zeichen - wie ein Kind – zack, zack, zack, Auge, Auge, Nase und dann ist sie da.’

Uta: Ich hätte dich würgen können! Ich hätte dich würgen können! Ich hätte dich würgen können!

Wimmer: Als du das Maul wieder weggemacht hast, war ich entsetzt. Da merkte ich, dass du die Figur aus Alice gar nicht kennst. Aber gerade dadurch ist etwas passiert, was sonst nicht passiert wäre! Wir haben jetzt eine Spannung ins Bild gebracht, die viel interessanter ist. Das wäre wirklich eine neue Darstellung.

Uta: Ich brauche nur um Millimeter anders auf das Bild gucken, damit sich der Blickwinkel verändert. Ich finde das jetzt auch sehr, sehr spannend; jetzt kann ich das Bild auch annehmen.

Wenn ich dieses Bild mit all den Bildern vergleiche, die wir gemeinsam gemalt haben und ich mir mein Ringen, mein Würgen und meine Ablehnung angucke, dann kann ich sagen: „Hier habe ich bisher am meisten mit meinem Widerstand zu tun gehabt.“

Wimmer: Sehr schön! Ich auch!

Uta: Du auch?

Wimmer: Ich hatte einen kurzen Moment überlegt, den Mund am Ende noch einmal wieder hervorzuholen. Er war nicht mehr in meinem Sinne zu erkennen! Es war eine normale Katze! Das Bild war interessant von der Farbe her, aber es ist nicht mehr die Aussage, die ich wollte! Ich dachte: ‚Geht das denn überhaupt noch? Mache ich es nicht kaputt, was da ist?’

Jetzt ist der grinsende Mund nur in der Andeutung zu sehen und dadurch wirkt er noch einmal ganz anders.

Uta: Sonst wäre es kein Kippbild! Dann wären wir bei dem Stand geblieben, dass wir nicht wissen, welchen Gemütszustand die Katze hat. Dann würde sie sich zwar als Katze zeigen; aber verbergen, was in ihr vorgeht.

Als „Kippbild“ ist sie beides! Eine doppelgesichtige Katze!

20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh