Werkstattgespräch

Mit allen Sinnen

2017, Gouache auf Leinwand

Ein Gespräch über den Entstehungsprozess des Bildes Mit allen Sinnen direkt nach Beendigung der Arbeit, während der nicht gesprochen wurde.

Wimmer:Ich bin in ein Bild geraten, dass ich sonst wahrscheinlich so nie gemalt hätte. Ich glaube, ich habe noch nie nur Landschaft gemalt? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern.

Nach unserem gemeinsamen absichtslosen Starten, als sich erste Formen zeigten, sah ich gleich einen Wasserfall und eine ganze Landschaft mit dazu. Eigentlich war ich im Widerstand! Gleichzeitig wurde mir klar: ‚Das ist eine Landschaft! Ich sollte mich nicht davon abwenden, sondern der Führung des Bildes folgen und in mir nachgeben!’

Verrückt, wenn ich das Bild jetzt so sehe, bin ich selbst überrascht, wie toll es geworden ist. Es entspricht überhaupt nicht meinem Stil und trotzdem gefällt es mir: Es hat eine große Tiefe und fügt sich in die alten Traditionen der Malerei ein, macht aber nicht den Anschein, diese kopieren zu wollen.

Es ist etwas Zeitgenössisches, so wird heute gemalt; und trotzdem ist es eine Landschaft. Es erinnert mich an Horst Janssen, der mitten in der politischen Bewegung der 68er Bäume und Gräser malte. Warum auch nicht? Landschaften existieren nun mal, wir gehen durch Landschaften und freuen uns. Landschaften haben so viel mit uns zu tun. In unserem Bild gibt es keinen Zeigefinger, es ist einfach nur ein Bild!

Uta: Und was ist es, was dich darin anzieht?

Wimmer: Weil das Bild auf den ersten Blick ganz naturalistisch daherkommt. Und das man auf den zweiten Blick erst erkennt, dass das gar nicht so ist. Wenn du oberflächlich schaust, siehst du einen Berg mit Wasserfall und Mond. Wenn du näher herangehst, hast du das Gefühl, die Landschaft geht in Farbe auf. Auf der linken Seite wirkt es frei, fast wie eine Fläche. Da kann man nichts Gegenständliches mehr erkennen. Wenn ich das Gesamte mit diesem weichen Blick von Weiten betrachte, bleibt dieser Eindruck von Gegenstandslosigkeit erhalten. Dann ist der Wasserfall kein Wasserfall mehr und trotzdem ist er einer. Diese Spannung finde ich ganz stark in dieser Arbeit.

Uta: Ich finde die Stimmung des Bildes auch sehr besonders: Es war sehr wohltuend für mich das Blau und das Schwarz aufzubringen; es hat mich sehr beruhigt und ich empfand es als unglaublich angenehm. Als ich damit fertig war, hatte ich den Eindruck, dass wir erneut mit dieser keilartigen Form gearbeitet hatten, die wie ein „V“ aussieht. Ich dachte noch: ‚Guck mal, da ist es wieder.’ Doch dann sah ich, dass es ein „Y“ war, zwei Arme und eine senkrechte Linie. Es sah für mich wie eine aufsteigende Taube aus. Aber dann fingst du an, aus dieser Schnittstelle das Fließende herauszuarbeiten.

Ich fühlte mich sofort ganz harmonisch: ‚Gott sei Dank, es kommt ins Fließen – Wasser!’

Ich sah sofort, dass du Wasser ausarbeitest: Etwas ergießt sich; es ist kein wilder Wasserfall; es fließt langsam herunter; ganz schön, richtig eine Wohltat!

Die Schnittstelle hat mich irgendwie aufgeregt. Ich sah einerseits Schlucht und Tal: Es war wie Milch und Honig, die aus der Erde fließen - wie ein Geschenk vom Himmel. Und dann hatte ich plötzlich die Assoziation: Es könnten zwei Pobacken sein und die Oberschenkel zeigen in die Höhe. Das würde bedeuten: Es fließt nicht aus dem Unterleib, sondern von oben über die Bauchdecke zwischen den Beinen hindurch. Solch’ ein Bild hatte ich auch.

Ich merkte dazu eine Zurückhaltung in mir: ‚Oh, was ist das denn für eine Ansicht! Man müsste die Schnittstelle ein wenig tiefer setzen, damit ein Gefühl entstünde, es flöße aus dem Unterleib; es wäre dann wie ein Gebären. Was da alles herausfließt an Leben in diesem Strom!’

Aber ich fand die Öffnung vom Unterleib nicht richtig platziert, denn es war eigentlich mehr der Schnittpunkt der Beine.

Ich bekam das Bedürfnis, die Rundung einer Pobacke in Rot in den Oberschenkel zu malen. Und ich war schon kurz davor, es ebenso auf der linken Bildseite zu wiederholen. Doch ich merkte: ‚Nee, das stimmt nicht!’

In diesem Moment fingst du an, Grün auf die linke Seite zu setzen. Wenn du mit dem Grün nur in der rechten Ecke geblieben wärest, dann hätte ich vielleicht die Idee, auch links eine Pobacke anzudeuten, umgesetzt.

Wimmer: Sie ist trotzdem da!

Uta: Stimmt! Es brauchte nicht deutlicher herausgearbeitet zu werden.

Mir kamen die Worte: Erde gebiert, Erde gibt diesen Lebensstrom. Für mich zeigte sich in dem Bild eine hohe weibliche Kraft. Ich war ganz glücklich mit diesem riesigen Unterleib, diesem riesigen Becken.

Danach setzte ich diese Lichtpunkte ins Wasser, indem ich punktuell die Farbe herauswusch. Das zu machen und diese entstehen zu sehen, bereitete mir große Freude. Ich war selbst erstaunt, dass es mir so gut gelang, denn es ist nicht immer so, dass solche Lichtpunkte beim Herauswaschen so leicht entstehen. Ich fand das Ganze plötzlich wie verzaubert.

Mit diesen Lichtreflexen wurde mir klar, es ist Nacht in unserem Bild. Deswegen war ich mehr als überrascht, als du anfingst einen hellen Himmel zu gestalten. Ich wurde traurig, denn der blaue Himmel erzeugte eine Dichtigkeit; es war alles Verwunschene weg. Und für mich wurde es dadurch unruhig, die Landschaft bekam etwas Dramatisches. Deswegen habe ich interveniert: Es ist Nacht! Dieses bereits vorhandene kühle Licht kann nur von einem Mond kommen! Kombination Pobacke und Mondin war einfach stimmig; es ist ein sehr weibliches Bild geworden. Ich war froh, dass du da mitgezogen bist und mir ermöglicht hast, den Nachthimmel zu gestalten.

Wimmer:In diesem Moment kam mir auch die Assoziation, dass es ein auffliegender Engel mit blauen Flügeln sein könnte, als ob er sich in den Himmel hineinstürzt. Sein Leib wäre dann der Wasserfall und der Kopf ist nicht zu sehen.

Uta: Oder, es könnte auch eine Taube sein.

Wimmer:Nur in der vordergründigen Ebene ist es eine Landschaft, aber es sind noch weitere Ebenen darin. Das finde ich besonders spannend daran. Mir war während der Arbeit nicht bewusst, dass wir das Weibliche und die Natur in einem Motiv vereinten. Ich dachte: ‚So ist es!’ Und ich bin auf das eingestiegen, was da ist! Es wurde zwar immer mehr Landschaft – erst jetzt sehen wir, was alles darin steckt.

Uta: Es steckt darin eine große weibliche Kraft. Das hat sich dieses Mal auch in unserer Arbeitsweise gezeigt. Unsere Bilder davor haben wir oftmals anders erarbeitet. Da gab es auch „Zicke – Zacke“, das kam in diesem Bild überhaupt nicht vor, insgesamt haben wir sehr ruhig und bedächtig gearbeitet.

Wimmer:Von Anfang an haben wir ganz detailliert gearbeitet, nichts Expressives, alles ganz zart und achtsam gestaltet.

Uta:Ich finde das Bild sehr ausgewogen. Es zeigt eine große Naturverbundenheit. Es ist pure Urkraft, sehr viel Weiblichkeit.

Das Bild ist eine Ausrichtung. Das Bild ist eine Antwort. Es ist wie Nachhause kommen.

20. Februar 2021 Uta Krellenberg und Wimmer Wilkenloh